Die schwierigste Entscheidung meines Lebens

I am Rose my eyes are blue
I am Rose and who are you
I am Rose and when I sing
I am Rose like anything.

Stand in geschwungenen Lettern auf Leinwänden, die auf Keilrahmen gezogen waren, ganz in orange und rot gehalten. Man konnte gar nicht anders als es immer und immer wieder zu lesen. Ein echter Blickfang in der modern eingerichteten Praxis. Eine kleine Theke, an der man sich mit Wasser versorgen konnte stand als Trennwand zwischen Wartebereich und Kabinen. Dazu eine Schüssel mit Gummibärchen. Hoffentlich nicht für Kinder. Es ist so fies, wenn diese arschige Krankheit schon Kinder trifft.

Nach gar nicht mal so langer Wartezeit wurden die Frau meines Vaters und ich von einer Frau mit einem weit östlich angehauchtem Akzent in ihr Sprechzimmer geführt. Heute sollte ich erfahren, wie genau der letzte Behandlungsschritt meiner Krebstherapie ablaufen sollte. Aufgeregt war ich nicht. Schließlich ging ich davon aus, das schlimmste nach der Chemo und der OP bereits hinter mir zu haben.

Sie erklärte wie gut man heute die Brust bestrahlen könnte, ohne großartig andere Organe in Mitleidenschaft zu ziehen. Natürlich würde meine Haut mit der Zeit darunter leiden, könnte sich verfärben und wie vom Schmerzfaktor und Aussehen her einem richtig schlimmen Sonnenbrand gleichen. Das schreckte mich aber nicht ab. Ich war zuversichtlich und bestens gelaunt. Bis sie anfing von den Nebenwirkungen der Bestrahlung der Lymphen zu berichten.

Ich wurde blasser und blasser. Da sie bereits auf Höhe des Halses ansetzen würden, könnte ich Halsschmerzen bekommen, die auch länger bleiben würden. Gut. Halsschmerzen sind doof aber machbar.

Die Lunge. Da ein Teil der Lunge im Bestrahlungsfeld liegen würde, könnte ein mehrwöchiger trockener Husten auftreten. Da fängt es schon an kritischer zu werden. Wer mal eine Erkältung hatte (ha-ha, wer nicht?), weiß wie blöd man einschläft, wenn man immer wieder husten muss. Sowas kann schon über einen längeren Zeitraum sehr sehr qualvoll sein.

Dann ging sie zu den bleibenden Schäden über. Wassereinlagerungen, mit denen ich bis dato noch keinerlei Probleme hatte, dadurch keine Einkaufstüten mehr rechts tragen dürfen, keine großartigere Belastung des rechten Armes, Lymphdrainage und so weiter.

Jetzt war sie erst so richtig in Fahrt. Sie berichtete von Muskelproblemen, Nervenschädigungen in Form von Kribbeln, Taubheitsgefühl, bis hin zur Lähmung. Jackpot! Begrabt mich doch am besten gleich.

Das war dann auch der Moment, in dem ich fassungslos und in Tränen aufgelöst wie ein Häufchen Elend dort saß. Es wären zwar „nur“ 15% Wahrscheinlichkeit aber sein wir doch mal ehrlich. Wie hoch ist die Gefahr mit Anfang 30 an Brustkrebs zu erkranken? Ich glaube die ist um einiges geringer und trotzdem habe ich es geschafft. Andererseits was würde es heißen, die Lymphen nicht mit bestrahlen zu lassen? Was wenn sich doch noch irgendwo diese kleinen, teuflischen Zellen festgesetzt haben? Das alles nochmal von vorne?
Eat-Sleep-Chemotherapy-Repeat? Nein, danke!

Es kam mir vor als hätte ich die Wahl zwischen Pest und Cholera. Für keine der beiden Varianten gab es eine Garantie. Ich könnte bestrahlen lassen und alles ist gut oder ich kann im schlimmsten Fall meine rechte Hand nicht mehr nutzen. Das würde bedeuten ich könnte meinen Job vergessen, mein größtes Hobby und keine Ahnung wie ich mich um Kind und Haushalt kümmern soll mit nur einer Hand. Vor allem der linken.

Ich könnte die Bestrahlung sein lassen und werde noch locker 90 Jahre alt. Oder eben nicht. Vielleicht 40. Je nachdem welchen Weg sich die Alienzellen suchen würden und wann man sie entdecken würde. Jedenfalls wären meine Rezidivängste schlimmer. Egal wie ich ich mich entscheiden würde, es wäre endgültig. Nicht nachholbar oder rückgängig zu machen.  Die schwierigste Entscheidung meines Lebens.

Die nächsten Tage entschied ich mich fast schon im Stundentakt um. Ich konsultierte einen Arzt aus der Klinik, fragte ihn nach seiner Meinung. Er sprach sich eher dagegen aus. Der Professor, zu dem ich dank Schwägerin meiner Zweitmama schon zu Anfang Kontakt hatte, äußerte sich für eine Bestrahlung. Er merkte wie ratlos  und hin und her gerissen ich war. Daraufhin hielt er nochmal mit zwei weiteren Oberärzten der Uniklinik Rücksprache. Sie waren sich einig.

Doch der Professor hatte es geschafft genau die richtigen Worte zu finden und mir alles so zu erklären, dass ich es verstehen konnte. Von Mikrozellen die sich festsetzen und vielleicht auch eine Chemo überleben können. Dass die Bestrahlung das kleinere Übel gegenüber der Chemo ist, da sie viel lokaler wirken kann, während die Chemo auf den kompletten Körper wirkt. Er sagte ich solle die Ärztin fragen, wie oft sie solche Nebenwirkungen denn wirklich schon erlebt habe. Sie hätte mir quasi den Beipackzettel vorgelesen. Und das war dann auch der Moment, in dem ich mich festlegte und für die Bestrahlung entschied. Würden wir von unseren Kopfschmerztabletten alle Nebenwirkungen des Beipackzettels durchlesen, würden wir sie vermutlich auch nicht mehr nehmen. Mit der Sichtweise konnte ich leben.

Zwei Wochen später machte man mich wieder zum Strichmännchen. Erst wurde ein CT gemacht, dann alle Markierungen mit einem fetten Filzstift aufgemalt, diese Striche dann nochmal transparent gepflastert. Besonders gemein ist es, wenn es heißt „Und jetzt nicht mehr bewegen…“. Langsam fährt die Spitze des Stiftes über die Haut und man spannt sich schon an, grinst von Ohr zu Ohr und weiß ganz genau, dass man im nächsten Moment laut loslachen wird, weil es so verdammt kitzelt! „Nicht bewegen!“ wurde ich scharf aber mit einem Schmunzeln ermahnt. Ich winselte nur noch mit zusammengebissenen Zähnen und grinste mir einen.

Die Wartezeit, bis es dann endlich losgehen würde überbrückte ich mit meiner neuen Leidenschaft, dem Streamen. Auf einer Plattform, extra für so gestörte oder manchmal auch egozentrische Nerds, konnten mir andere Leute per Webcam und Übertragung meines Bildschirms zusehen, wie ich Computerspiele spielte. Als Mützenjule hatte ich dort jede Menge Spaß und lernte viele tolle Menschen kennen, die mich zum Teil heute noch begleiten. Ich war wirklich überrascht, dass mir tatsächlich Leute öfter zugesehen haben. Wer hätte das gedacht?

Aber auch bei meinem Kanal fuhr ich weiterhin die gleiche offene Schiene. Ich hatte zwar bereits den ersten 1 cm Flaum auf dem Kopf, dennoch sah man mir noch meine Krankheit an. Also warum ein Geheimnis daraus machen? Es ist tatsächlich auch öfter zum Thema meiner Übertragungen geworden. Manchmal so intensiv, dass ich gar nicht mehr wirklich gezockt sondern nur noch mit meinen Zuschauern geredet habe. Besonders bewegt haben mich die Gespräche, wenn jemand im Chat aufgetaucht ist, der selbst jemanden kennt oder mit jemandem verwandt ist, der gerade gegen den Krebs kämpft. Bei mir konnten sie Dinge fragen, die sie sich bei anderen nicht getraut haben. Alleine dafür hat es sich schon gelohnt, das Projekt „Streaming“ zu starten.

Whoop whoop!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert