Schockstarre

Ich fühle mich wie erstarrt. Bin kaum noch in der Lage klar zu denken oder Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen die plötzlich so unwichtig und doch alltäglich sind. Ich weiß nicht wann oder was ich essen will. Es ist mir egal wer mich zu irgendwelchen Terminen fährt – Hauptsache ich komme hin. Es ist völlig unwichtig, was ich mir im Fernsehen anschaue, so lange es mich berieselt und es schafft mich abzulenken. Ich stehe unter völliger Schockstarre.

Ich habe mich dazu entschlossen, dieses Mal in eine andere Klinik zu gehen. Nicht weil ich den Ärzten nicht mehr traue, sondern weil ich mich zuletzt bei meiner Brust-OP im März, bei der auch der Port entfernt wurde, nicht mehr in der Klinik wohlgefühlt hatte. Ich weiß dass die Ärzte dort alles gegeben haben und es auch nicht ihre Schuld ist, dass ich nun da bin wo ich bin. Auch mit den OP-Ergebnissen bin ich absolut zufrieden.

Dieses Mal bin ich bei dem Professor, der an den Studien zu meiner letzten Chemo beteiligt war. Sämtliche Empfehlungen wurden in Richtung Heidelberg und Frankfurt ausgesprochen. Die Erfahrungen einer guten Freundin meiner Schwester gaben mir den letzten Ruck, mich für Frankfurt zu entscheiden. Als ich dann auch vor Ort war, stand für mich fest, dass ich mein Leben nun in die Hände dieser Götter in Weiß legen werde.

Nachdem ich die Woche zuvor direkt beim Frisör war, um mir schon mal die Haare wieder kurz schneiden zu lassen, fuhr mich montags die liebe Bekannte, die ich im Krankenhaus kennen lernen durfte nach Frankfurt, da ich seit ein paar Tagen ziemlich heftige Schmerzen an der rechten Seite hatte. So konnte ich bei der Gelegenheit noch einige andere Fragen los werden. Ich erfuhr, dass die Leber absolut „Kriegs entscheidend“ ist, ich wieder einen Port brauchen würde, weiterhin Lymphdrainage machen lassen sollte und wie das genau mit meinen Gewebeproben ablaufen wird, wenn diese erstmal genommen wurden.

Am Dienstag war dann einer meiner Zockerjungs zur Stelle, um den nächsten Gang mit mir zu machen. Erst gab es eine Vorbesprechung zur Punktion, die für den nächsten Tag vorgesehen war. Der Arzt der mir alles erklärte war wirklich total nett und verstand auch meine kleinen Späßchen, die ich eben immer so mache, wenn mir etwas nah geht und ich versuche das zu überspielen.

Anschließend durfte ich in die Röhre, damit man sich via MRT ein besseres Bild von dem Alien machen konnte. Ich war ja jetzt schon öfter in so einem Teil. Aber nie war es so anstrengend. Immer wieder ertönte die Stimme des jungen Mannes durch den Lautsprecher: „Einatmen… Luft anhalten… nicht mehr atmen.“ Und ich liege da so, halte die Luft an während es rattert und klopft und denke mir  „Nicht atmen… nur nicht atmen… schön die Luft anhalten… also so langsam könnte er aber was sagen… Puh, jetzt wirds aber wirklich eng… Hui, jetzt wird mir schummerig… Ich glaube gleich werd…“ „Weiteratmen!“ Und das mehrmals nacheinander.

Am nächsten Morgen fand ich mich erneut in der Klinik ein. Nach einiger Warterei bekam ich meinen Kittel und die sexy Netzunterhose. Auch meine Mama war heute wieder dabei, hielt mir die Hand so lange sie konnte. Schon vor dem CT-Raum lagen meine Nerven blank. Alleine das Wissen, dass man mir gleich mit einer Nadel in die Leber stechen würde, machte mich völlig fertig.

Das wurde noch schlimmer, als ich auf der Liege für das CT lag. Erst wurde eine Aufnahme gemacht, um besser schauen zu können, wo man genau die Punktion am besten durchführen könnte. Da war es dann für mich vorbei. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu heulen, verfluchte meine Situation und konnte meine Angst nicht mehr kontrollieren. Die Ärzte reagierten schnell und gaben mir sofort etwas zur Beruhigung. Vorgewarnt hatte ich sie ja bereits, dass es ohne wohl nicht gehen würde.

Ich erinnere mich noch daran, dass der Arzt knapp unterhalb meiner rechten Brust eine geeignete Stelle gefunden hatte und dass die Betäubungsspritze gebrannt hat. Mit den Armen über dem Kopf bin ich recht zügig weggedämmert, erinnere mich sonst nur noch daran, dass es irgendwann hieß man müsse nochmal stechen, da eine Entnahme nichts geworden ist. Zum Glück war ich da schon auf einem Level, auf dem es mir egal war. Immer ran an den Speck. Oder halt die Leber.

Als alles vorbei war, kletterte ich wieder in mein Bett. Ich war so hundemüde. So dauerte es auch nicht lange, bis ich dann auf meinem Zimmer wegdämmerte. Ein Glück war dieses Mal wieder eine total liebe Frau mit auf dem Zimmer. Auch die Pizza am Abend war ganz lecker.

Nachdem nichts nachgeblutet hatte, wartete ich am nächsten Tag auf den Bescheid, dass ich zum Kopf MRT darf.  Ich hatte beim Prof ja schon angekündigt, dass ich gerne mehrere Baustellen abgeklärt haben wollte. Als mir dann zum dritten Mal an drei Tagen das Kontrastmittel in die Venen lief, merkte ich auch schon dass es langsam wirklich viel ist. Meine Beine fingen regelrecht das Zittern an. Ich betete, dass das MRT möglichst schnell fertig ist. Die ganze Zeit war ich darauf bedacht, bloß nicht meinen Kopf zu bewegen, damit man ja nicht nochmal von vorne anfangen musste.

Als auch das geschafft war, wartete ich auf die Visite, um wieder Nachhause zu können. Der Arzt, den ich am vorigen Abend bei meiner Bettnachbarin gesehen hatte tauchte auf und erklärte mir, dass er mich nun auf Geheiß vom Prof untersuchen würde. Endlich habe ich die ersten Puzzleteile bekommen. Das ständige Zittern, der Krebs könnte dieses Mal schon im ganzen Körper sein, machte mich total fertig. Dazu die immer heftiger werdenden Schmerzen an der Seite und das Kopfkino ist perfekt.

Die Untersuchungen des sympathischen Oberarztes ergaben, dass weder Auffälligkeiten in meinem Unterleib, noch an den Nieren, meinen Brüsten oder der Lymphknoten im Brustbereich vorhanden waren. Ein erstes Aufatmen. Er versicherte mir auch, dass ich ausnahmsweise telefonisch die Ergebnisse vom Kopf MRT erfragen könnte, da ja nun auch das Wochenende anstand. Schon war ich wieder nervös.

Da selbst die Ibus keinerlei Wirkung mehr bei den Schmerzen zeigten, wurde mir zusätzlich ein leichtes Opiat verschrieben. Es sollte mir helfen, endlich mal schmerzfrei zu werden und ein wenig herunter zu fahren. Jedes noch so kleine Zwicken oder Zucken machte mich nur noch nervöser. Die Angst, der Krebs könnte sich schlagartig überall einnisten, wurde zum ständigen Begleiter. Da war das neue Schmerzmittel wirklich eine Erlösung. Auch wenn mir immer häufiger schwindelig wurde und ich viel mehr Zeit im Liegen verbringen musste.

Samstag Abend kam dann auch endlich der lang ersehnte Rückruf, nachdem ich wohl am Freitag die ganze Station mit meinen Anrufen wuschig gemacht hatte. Vorne am Hirn wäre eine kleine Auffälligkeit, die aber wohl keine Metastase sein könnte. Hinten links dagegen gibt es 3 mm, die Kontrastmittel aufgenommen haben, bei denen es absolut unklar ist, was das nun sei. Er beruhigte mich mit der Aussage, dass es sonst typisch ist, dass gleich mal 17 Metastasen oder ähnliches auftauchen würden. Mein Kopf wäre definitiv nicht mit Metastasen voll. Er äußerte die Vermutung, dass man in ein paar Wochen nochmal ein MRT machen würde, um zu schauen, ob die besagte Stelle größer wird. Aber bis dahin könnte man erstmal mit der Chemo anfangen.

Nur fehlte mir für die ja nun wieder der Port. Schöne Scheiße. Im März bei der Anpassungs-OP war ich der Meinung endlich mit dem Krebs abschließen zu können. Und da bräuchte ich ja auch keinen Port mehr. Also ist er bei der Gelegenheit mit raus geflogen. Nun ärgere ich mich über meinen Eifer.

Der Arzt der mir nach gerade mal vier Monaten wieder einen Port setzen wird, klärte mich über die Komplikationen auf, die auftreten könnten. Er meinte auch, dass es dieses Mal etwas schwieriger wird den Port zu setzen, da sie nicht wieder an die gleiche Stelle können. Nun muss er unter dem Schlüsselbein entlang. Freude. Dafür versprach er mir, dass ich bei dieser Port-OP nicht wieder mittendrin aufwachen würde, so wie das letzte Mal. Das brauche ich auch wirklich nicht nochmal.

Nachdem ich mich am Mittwoch an meine eigenen Ratschläge gehalten und beim Zahnarzt eine Zahnreinigung habe machen lassen, ging es am Freitag zum Knochenszintigramm. Leider hatte ich etwas mit dem Termin verdusselt und tauchte erst dann auf, als das Szinti gemacht werden sollte. Ich hatte total verpeilt, dass ich um 8 Uhr da sein sollte, damit mir das lustige Strahlenzeug gespritzt werden kann. Zum Glück haben sie mich nicht Heim geschickt, sondern tatsächlich länger gemacht, nur damit ich noch diese wichtige Untersuchung machen lassen konnte.

Ich war wirklich froh darum. Denn diese Warterei machte mich langsam wahnsinnig. Die meiste Zeit verbrachte ich in der waagrechten auf der Couch oder oben im Bett. Ich schlief, döste, schaute Fern oder grübelte. Zumal sich nach ein paar Tagen zu dem Schwindel auch noch Übelkeit gemischt hatte. Mittlerweile wurden auch die Rückenschmerzen so heftig, dass selbst das Opiat es nicht mehr schaffte, mich alle Schmerzen ausblenden zu lassen.

Am Montag kam dann die Stunde der Wahrheit. Nach einem Besuch bei der Heilpraktikerin, die sofort wieder mit einer Sauerstofftherapie und Vitamin C angefangen hatte, war mein Termin beim Prof, um endlich alle Ergebnisse zu erfahren. Das Gespräch war die reinste Berg- und Talfahrt.

Auch wenn ich hätte schwören können dass da etwas ist, sind meine Knochen tatsächlich metastasenfrei. Erste Erleichterung. Dass meine Leber auf den CT Bildern aussieht wie ein schweizer Käse, wusste ich ja bereits. Auch dass die größte Metastase dort 4,1 cm groß ist. Genauso dass die Pleura definitiv befallen ist und damit dann auch den Erguss vor wenigen Wochen erklärt. Hier hat mein Alien ebenfalls mehrere Ableger hinterlassen, wovon der größte 2,6 cm groß ist. Mehrere Lymphknoten in der Region sind befallen und ich weiß dass ich zarte Nebennieren habe. Wobei letzteres einfach nur lustig klingt. Nicht so lustig klingt dagegen der Satz „Eine Referenzmetastase links paraaortal unterhalb der Nierenvene misst 2,5 cm im Durchmesser.“

Der Prof meinte, dass wir dann gleich am Freitag mit der Chemo starten könnten, wenn ich am Donnerstag den Port bekomme. Meine neuen Heilmittel heißen diesmal Carboplatin und Gemcitabin. Er ist der Meinung, dass diese beiden Mittel, die ich nun alle 10 Tage bekommen soll, sehr gut anschlagen werden.

Wie der Zufall es so wollte, stand gerade als wir aus dem Zimmer kamen der Oberarzt vor der Tür. Er willigte ein, mir noch ein wenig über die Chemo zu berichten, die mich nun erwarten würde. Mir war ja klar, dass mir wieder die Haare ausfallen würden. Auch dass mir wohl wieder ziemlich übel sein wird. Damit habe ich schon die ganze Zeit gerechnet und es wurde mir auch direkt bestätigt. Womit ich allerdings so gar nicht gerechnet habe war, dass ich nun für den Rest meines (wohl nicht mehr all zu langen) Lebens Chemo bekommen würde.

Ich hatte mich ja wirklich schon damit auseinandergesetzt, dass ich wohl von nun an immer wieder mit weiteren Chemophasen rechnen müsste. Aber nicht damit, dass ich gar nicht mehr ohne sein werde. Vielleicht könnte man mal 3-monatige Pausen einlegen – wenn es gut läuft. Aber sonst soll ich mich daran gewöhnen, regelmäßig meine Packung zu kriegen, damit wir das Alien unter Kontrolle halten und ich noch ein wenig länger leben kann. Es so klar und deutlich nochmal zu hören, löste in mir die nächste Schockstarre aus. Hier geht es nicht mehr um Heilung. Hier geht es darum, noch ein paar Jahre rauszuschlagen.

Das macht mich so wütend. Traurig und wütend. Anfangs habe ich gesagt, ich will wenigstens noch Oma werden, bevor ich gehen muss. Jetzt bin ich froh, wenn ich noch mitbekomme, dass meine Tochter die Grundschule abschließt. Das ist der blanke Horror. Zu wissen dass man bald sterben wird ist schon eine heftige Sache. Aber zu wissen, dass man ein kleines Mädchen zurücklässt, das man über alles liebt und für das man sorgen will, das man aufwachsen sehen will und es wohl nicht darf, ist einfach nur erschütternd und gemein.

Ich hatte mich so gefreut, als ich vor 3 Monaten das erste Mal seit der Chemo wieder meine Regel bekommen habe. Ich hatte das Gefühl, dass mein Körper sich von den Strapazen erholen konnte und dass mir nun wieder alles offen stehen würde, sollte sich doch noch der passende Mann dafür finden.
Und jetzt ist nicht nur klar, dass ich kein weiteres Kind bekommen werde, sondern es ist auch noch fraglich ob ich das, was ich bereits habe, wirklich großziehen darf. Immer wieder kreisen meine Gedanken um dieses kleine Mädchen, was verkraften muss, dass es bald keine Mama mehr hat. Und das viel zu früh. Das bricht mir das Herz.

Alles was mir jetzt bleibt, ist die Tatsachen zu verarbeiten, mich auf das schlimmste vorzubereiten und dann diesem scheiß Vieh gehörig in den Arsch zu treten!

Ich hoffe ich finde genug Kraft dafür…

 

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