Genetisch oder nicht genetisch – das ist hier die Frage!

Wieder einmal saß ich im Wartezimmer. Doch dieses hier war neu. Eigentlich war es auch kein Wartezimmer. Es war viel mehr eine Reihe mit Stühlen in dem gleichen Raum, in dem sich auch die Anmeldung mit dem langen Tresen befand. Hier war ich noch nie. Doch wollte ich unbedingt noch vor der OP hier her. Heute würde man mir Blut abnehmen um herauszufinden ob die Krebserkrankung genetisch ist.

Sollte es wirklich genetisch sein, würde das für mich heißen mir meine Brust abnehmen zu lassen. Ganz egal ob es Brust erhaltend operabel wäre oder auch nicht. „Sie könnten auch die erste in dieser Kette sein.“ sagte mir meine Lieblingsärztin mit besorgtem Gesicht bei einem meiner vielen Aufenthalte in der Klinik.

Auch in meiner weitläufigeren Familie gab es bereits den einen oder anderen Fall von Krebs, zwei davon mit Brustkrebs. Allerdings in höherem Alter und ohne Chemo behandelbar. Meine Urgroßmutter soll an Krebs gestorben sein. An welchem ist aber nicht wirklich bekannt. Zu dieser Zeit wurden solche Krankheiten noch tot geschwiegen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Als hätten sie irgendetwas verbrochen, dass ausgerechnet sie es bekommen hatten. Bei dem Gedanken daran bin ich jedes Mal wieder froh, dass unsere Forschung schon so weit ist Krebs behandeln zu können. Vor 20 Jahren hätte man mir nach der Diagnose wohl direkt die Brust abgenommen ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hätte nicht die Wahl gehabt.

So beruhigte ich mich selbst, indem ich mir sagte, dass die Forschung in ein paar Jahren noch weiter sein würde. Vielleicht gibt es dann schon schonendere Therapien um diesen Mist zu behandeln. Sollte es wirklich genetisch sein, ist das kein Todesurteil! Es ist eine Kampfansage! Und ich würde alles dafür tun, dass ich diesen Kampf gewinne! Auch wenn es mich meine eigentlich gesunde Brust kosten würde.

Nachdem die Ärztin mir das Blut abgenommen hatte, berichtete ich und meine Zweitmama, die mich zu dem Termin begleitete, von allen uns bekannten Krebsfällen in der Familie. Eine sogenannte Stammbaumanalyse. Alleine vom Erzählen her schätzte die Ärztin eine Wahrscheinlichkeit von 30-40% dass es genetisch ist. Sie würde die Angaben aber dennoch durch ein Analysetool jagen. Kurze Zeit später spuckte auch das seine Ergebnisse aus:
Betrachtete man nur meine engere Familie bis zu meinen Großeltern, lag das Ergebnis bei 6%. Ging sie aber weiter, ging es auf 60% Wahrscheinlichkeit für eine genetische Manipulation von BRCA1 oder BRCA2 hoch.

Natürlich ging mir auch durch den Kopf, was das für meine eigene Tochter heißen würde. Dieser Gedanke riss mich in die Tiefe. Wenn ich mir jemanden aus meiner Familie aussuchen müsste, der Chemo, Bestrahlung und den ganzen Kram mitmachen müsste, würde ich immer wieder mich selbst nehmen. Vor allem wenn es um mein Kind geht. Unsere Kinder wollen wir beschützen und von allem Übel der Welt fernhalten. Krebs ist eines der größten davon. Gerade jetzt wo ich am eigenen Leib erfahren habe was so eine Diagnose bedeutet, will ich alles tun, dass es meinem Kind nicht so ergeht. Sollte wirklich herauskommen dass es genetisch ist, würde ich alles dafür tun, dass mein kleiner Sonnenschein regelmäßig untersucht werden würde, wenn es soweit ist dass es ausbrechen kann. Ein fürchterlicher Gedanke.


Die letzte Chemo nach der kleinen Zwischenpause setzte mir dann auch noch allmählich zu. Ich hätte den ganzen Tag nur noch essen können. Da ich bereits 15 kg abgenommen hatte, eigentlich gar nicht so verkehrt. Ich tätschelte mir auch viel am Kopf herum, da bereits der erste Flaum anfing zu wachsen. Ein seltsames Gefühl. Und so weich.

Mein Kreislauf hat sich dennoch aus dem Staub gemacht. Und der Sausack hat tatsächlich fast alle Leukos mit sich genommen. So blieb mir nichts anderes übrig, als auf der Schlafcouch zu liegen, die ich schon seit einigen Monaten mein Bett schimpfte, und mir Serien anzusehen, sollte ich es denn schaffen wach zu bleiben. Mein Körper war ja sowas von am Ende:

Leukozyten: 0,3   (Normal 4 – 11; Weiße Blutkörperchen – Quasi unser Immunsystem)
Erythrozyten: 3,3   (Normal 4 – 5,4; Rote Blutkörperchen – Transportieren den Sauerstoff im Blut)
Hämoglobin: 10,7   (Normal 12 – 16; Roter Blutfarbstoff – Bindet den Sauerstoff im Blut)
Hämatokrit: 31,4   (Normal 37 – 47; Anzahl der roten Blutkörperchen am Blutvolumen)
Thrombozyten: 98   (Normal 130 – 450; Blutplättchen – Zuständig für die Blutgerinnung)

Das war dann auch der Grund, warum die Klink zwei Tage nach Blutabnahme bei mir anrief. Ich sollte bitte nochmal meine Werte checken lassen um zu sehen ob es weiter runter oder wieder nach oben geht. Wäre es nach den Ärzten gegangen, wäre ich ohne Umwege in die Klinik gefahren und hätte mich dort in Quarantäne stecken lassen. Die Ansteckungsgefahr war nun wirklich hoch. Ein einfacher Schnupfen hätte bei mir schnell zu einer ausgewachsenen Lungenentzündung werden können und wäre lebensbedrohlich gewesen.
Ich erklärte dem Arzt, dass wenn ich nun in die Klinik fahre und durch die Pforte gehe, ich in just dem Moment mehr Keimen, Bazillen und Bakterien ausgesetzt wäre als wenn ich mich Daheim einschließe. Damit konnte ich ihn umstimmen. Außerdem würde ich bei mehreren Tagen in der Klinik verhungern bei dem grottenschlechten Essen!

Immerhin zeigte das nächste Blutbild eine Steigerung der Leukos auf 0,5. Ich durfte also bleiben wo ich bin. Sollte aber sofort in die Klinik kommen, sollte ich Fieber kriegen.
Meiner Tochter winkte ich abends nach dem Zähneputzen nur kurz und rief ihr eine Gute Nacht zu. Bevor ich etwas zu essen bekam, musste meine Zweitmama sich immer die Hände desinfizieren ehe sie meinen Teller anfasste und ihn aufs Bett stellte, das zum Glück recht nah an der Tür lag. Es war schon eine Extremsituation. Doch lieber so als wie E.T. in Quarantäne gesteckt zu werden. Zumindest setzte sich dieses Bild belustigender Weise in meinem Kopf so fest.

Nur fünf Tage später verschrieb ich stolz einen Anstieg der Leukos auf 2,8. Willkommen zurück! Und willkommen neuer, kleiner Erdenbürger. An diesem Tag wurde ich Tante eines zuckersüßen Jungens, der tatsächlich mehr Haare auf dem Kopf hatte als ich.
Bei diesen Blutwerten bekam ich sogar von der Klinik grünes Licht, meine Schwester mit dem Kleinen im Krankenhaus besuchen zu dürfen. Jippieh!

Eine knappe Woche und allen bisher veröffentlichen Game of Thrones Folgen später ließ ich mir helfen, wieder in meine eigene Wohnung zu ziehen. Home Sweet Home. Natürlich war ich super dankbar, fünf Monate bei meinem Vater und seiner Frau zusammen mit der Kleinen wohnen zu dürfen aber in den eigenen vier Wänden zurück zu sein war schon grandios. Nicht nur dass ich nun auch wieder abends mit meinen Leuten im Teamspeak in normaler Lautstärke reden und lachen konnte ohne jemanden zu wecken, sondern auch ein Stück weit Normalität wieder zu erlangen war einfach nur toll. Ich freute mich tierisch auf die erste Nacht in meinem neuen Bett, das mir meine Mama gesponsort hatte.

Besonders irritierend war der früh morgendlichen Zusammenbruch meines Kleiderschranks. Ja, richtig gelesen. Als ich damals in diese Wohnung gezogen bin, habe ich mich von meinen Schlafzimmermöbeln verabschiedet, die ich schon seit meiner Jugend besaß, als ich noch bei meiner Mutter wohnte. Ich schlief seit zwei Jahren schon nur auf einem Lattenrost mit Matratzen, baute mir aus Kartons einen Kleiderschrank und kaufte wenigstens einen Reisekleiderschrank für alles was auf Bügel gehängt werden sollte. Und genau jener brach in der ersten Nacht lautstark zusammen. Ich war nach dem Umzug nicht einmal fähig meine Klamotten auszuräumen, da die Packerei und Schlepperei doch sehr anstrengend war. Ich rührte das Teil nicht einmal an. Und dennoch ging es ausgerechnet in der ersten Nacht in die Knie. Vermutlich war er einfach geknickt, dass er nicht auch ausgetauscht wurde. Geknickt im wahrsten Sinne des Wortes. Zum Glück erklärte sich die weltbeste Arbeitskollegin bereit ihren Mann dazu zu zwingen mit uns einen neuen Schrank zu kaufen. Hej Ikea!

Dann war es auch endlich soweit, dass der langersehnte Beischeid des Humangenetischen Instituts kam: Negativ!
Ich jubelte, hüpfte und freute mich dermaßen über diese Nachricht. Hoffnung, dass der Mist nicht immer wieder kommen würde, egal was ich mache. Keine Sorgen mehr darüber machen, dass ich meiner Tochter die selbe Erkrankung in die Wiege gelegt habe und Freude, dass mir meine Tittis erhalten bleiben würden – sofern die Ärzte eben erhaltend operieren könnten. Natürlich sind noch nicht alle Gene erforscht, die an Krebserkrankungen beteiligt sein könnten. Aber wenigstens diese zwei bekannten konnte ich nun ausschließen!

Meine neuen Wimpern

An diesem Tag entdeckte ich dann auch die ersten kleinen Wimpern. Biestige Dinger! Hin und wieder juckte es an den Lidern und wenn man rieb, pieksten die kurzen Härchen einen genau ins Auge. Aber hey… die dürfen das!
Sie wachsen wieder.

Alles wird wieder gut.

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